Resumee - In vier Tagen rund um die Welt

Logo-Filmfestival-Mannheim-Heidelberg-384x61.gif

Resumee - In vier Tagen rund um die Welt

Vier Tage sind kurz. Und wenn man in abgedunkelten Sälen in zig fremde Universen eintauchen darf, kommen sie einem noch viel kürzer vor. Während meines Kurztrips ins Filmparadies Mannheim-Heidelberg kristallisierten sich bei all der Fülle an Themen und Geschichten dennoch zwei - wenn auch völlig unterschiedliche - Schwerpunkte heraus: Liebe & Krieg.

Der Zufall wollte es, dass ich mich an meinen ersten beiden Tagen ohne eigenes Zutun ständig in auf Zelluloid gebannten Romanzen wiederfand. Angefangen bei dem exzessiven Pärchen Steve + Sky, über die emotionslosen Sexkapaden in Antares bis zum skandinavischen Liebesreigen.
Überall sprühte, loderte, funkte es und präsentierte mir die gesamte Palette des stärksten Gefühls, zu dem wir Menschen neben abgrundtiefem Hass wohl fähig sind, in einer knallbunten Parade.

Nun könnte man meinen, dass eine derartige (Lieb)reizüberflutung - und das kurz vor dem eh schon sentimentalen Weihnachtsfest - eure zynische Außendienstlerin in einen Zuckerschock versetzt haben könnte. Weit gefehlt. So kraftvoll und ehrlich, so offen und herzlich kamen all die Filme über die wahre, die vergebliche, die gescheiterte und schließlich gefundene Liebe daher, dass ich für zwei Tage meinen Zynismus an der Hotelrezeption abgab und fast bereit gewesen wäre zu glauben, dass wirklich alle Zyniker im Grunde ihres Herzens nichts als enttäuschte Romantiker sind.

Aber Mannheim liebte es auch 2004, zu polarisieren. Von meinem kuscheligen Plätzchen auf der dritten Wolke links im siebten Himmel wurde ich unsanft hinuntergeschüttelt und fiel direkt in die Krisengebiete unserer Erde. Der zweite Teil meiner Weltreise führte mich von den Abgründen der menschlichen Seele in die entlegendsten Winkel einer fremden Welt, in denen sich atemberaubende Schönheit mit dem schlimmsten Terror vermischen.

Littoral nahm mich mit in den Libanon, Sivi kamion crvene boje zeigte mir das im Auseinanderfallen begriffene Jugoslawien, während Mila ot Mars mir einen winzigen Einblick in ein entlegenes Dorf Bulgariens verschaffte. Auf meiner Reise sind mir dabei soviele Menschen begegnet, weit verstreut und doch durch die gleichen Träume und Hoffnungen miteinander verbunden.

Doch nicht nur in Filmen trifft man sich mit Menschen aus aller Herren Länder. Ob auf dem Boden nackenfeindlich vor die Leinwand gequetscht oder mit großzügiger Beinfreiheit in weichen Sesseln, teilt man auf Festivals jeden Film als kollektive Erfahrung mit anderen.

Unangenehm auf dem Sitz herumgerutscht bin ich bei den schon fast pornographischen Szenen in Antares. (Tyler Durden aus dem Fight Club hatte recht, dass sehr viel Sex in Großaufnahme auf die Dauer irritiert und insgeheim fragen lässt, ob die plötzliche Attraktivität des Sitznachbarn allein an der diffusen Beleuchtung liegen kann!)

Unwissend habe ich vor dem Screening von Na Cidade Vazia während eines Plausches mit einem netten Ehepaar über ihren Sohn, den Dokumentarfilmer, nicht geahnt, dass wir 90 Minuten später verstört und desillusioniert das Kino verlassen werden.

Gelacht habe ich mit Hunderten, als Suzanne Juhaz in Regel Nr.1 kommentarlos ihr Abendkleid in der Spüle verbrannte, nachdem ihr volltrunkenes Date dieses bei einem ohnehin peinlichen Karaokeauftritt vollgekotzt hat.

So viele Sprachen habe ich in meiner viertägigen Auszeit vom Alltag hören können, doch ob Arabisch, Französisch, Russisch oder Mandarin - im Prinzip sprechen bei aller Not und allem Elend doch alle nur von der Liebe zum Leben, die noch nach der sprichwörtlich zuletzt sterbenden Hoffnung zu vergehen scheint.

So schließt sich der Kreis und wie ihr merkt, hinterlassen die vielfältigen Impressionen des diesjährigen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg eine Bauklötze staunende Autorin, die schließlich doch nicht umhin kam, ihren bereits quengelnden Zynismus wieder abzuholen und aus dem Hotel auszuchecken.

Ich habe viel und doch noch viel zu wenig in Mannheim gesehen und kann nur jedem raten, der Filme, Menschen oder vielleicht sogar beides faszinierend findet, einmal ein Filmfestival zu besuchen. Komprimierter findet man die Welt nirgends und speziell in Mannheim hat sie in all ihren Facetten mehr als genug Platz.

Selbst ein einziger Tag auf gut Glück ist bei dem immer wieder überraschend gut zusammengestellten Mannheimer Programm keine Verschwendung. Man muss nicht jede der Internationalen Entdeckungen oder Wettbewerbsbeiträge gesehen haben, um sich eine Meinung zu bilden. Denn Film ist Kunst und handelt immer vom Leben, und darin sollten wir alle Experten sein.

Maxi Braun
13.12.2004