Hitlers Hitparade

Ein provokanter Titel für einen provokanten Film, nicht nur für einen von zwei deutschen Regisseuren geschaffenen. Wer allerdings narrative Vergangenheitsbewältigung im Stile von Der Untergang erwartet, ist schief gewickelt. Denn Hitler's Hitparade ist weder Spielfilm noch Dokumentation, sondern eine zeitgeschichtliche Collage.

Endlose Stunden haben Susanne Benze und Oliver Axer in Archiven gestöbert, um Filmdokumente aus der Zeit des Dritten Reiches zu sortieren. Von Leni Riefenstahls perfekt in Szene gesetzten Körpern in Propagandafilmen, über alte Ufa-Streifen bis hin zu Privataufnahmen von Hitler selbst haben sie diese Ausschnitte zu einer immer bedrückender werdenden Revue verbunden, die in 75 Minuten Laufzeit auf den Zuschauer einprasselt und ihm durch den bewusst unterlassenen Kommentar des im historischen Kontext geradezu grotesk wirkenden Bildersturms die Möglichkeit nimmt, sich dem Sog zu entziehen.

Hitlers Hitparade von Susanne Benze und Oliver Axer Rufen sorgsam von den Nationalsozialisten inszenierte Propagandafilme zunächst ein leichtes Schmunzeln hervor, sind einige Szenen aus deutschen Spielfilmen der Zeit auch zum Brüllen komisch, bleibt einem spätestens das bereits verschämte Lachen im Halse stecken, wenn sich der drastische Wechsel von fröhlichen Tanznummern in eskapistischen Musicals hin zu auftauchenden Judensternen vollzieht. Irgendwie chronologisch verengt sich Hitler's Hitparade zu einem immer enger werdenden Trichter, in dem es stetig dunkeler wird.

Darf man über einen Film lachen, der das Grauen des Dritten Reiches mittels eines Querschnitts durch die Entertainmentwelt der Epoche thematisiert? Dürfen kurzberockten Revuegirls Bilder von verhungernden Kindern folgen?
Und was soll ein derartiges Potpourie überhaupt zur Botschaft haben? Solche Fragen beschäftigten die Mannheimer Audienz, deren großer Andrang bei der Konferenz die polarisierende Wirkung des Films illustrierte.

Zunächst kam Hitler's Hitparade nur durch Produzent C. Cay Wisnigk zustande, der, nach einer langen Reihe von Absagen schon bei Erwähnung des Titels, den Mut zu einem derartigen Projekt aufbrachte. Urheberrechtliche Fragen, die bei so viel Material mit hunderten von Gesellschaften zu klären waren, führten zudem dazu, dass alle Beteiligten jeden Tag auf den Brief eines bissigen Anwalttrupps warten.

Mitnichten kann Hitler's Hitparade bei allem Einsatz der Beteiligten als Effekthascherei der übelsten Sorte verdächtigt werden. Vielmehr ging es Benze und Axer um einen vollständigen Eindruck der Zeit. Wie in den vielen Beiträgen Mannheims, die von Kriegs- und Krisengebieten unserer Erde handeln, versuchten die Regisseure auch hier, alle Seiten zu beleuchten.

Hitler's Hitparade zeigt viele längst vergessene Dokumente einer Ära, die in kultureller und künstlerischer Hinsicht in Deutschland als verloren galt. Durch deren Sammlung und Verknüpfung ist kein Meilenstein entstanden, aber vielleicht ein weiterer deutlicher Schritt hin zu einem sich momentan im Wandel begriffenen, historischen Selbstverständnis der Deutschen.

Denn um die Greueltaten und das kollektive Fehlverhalten unser ganzen Nation auch nur ansatzweise verstehen zu können, müssen wir mehr leisten, als die schrecklichen Erinnerungen wachzuhalten, nämlich weiter nach den Ursachen forschen.

Hitler's Hitparade will mitnichten sagen: "Es war damals nicht alles schlecht". Vielmehr geht es um die Verlockungen, das Positive, mit dem die Menschen bei Laune gehalten wurden, was die eigentliche Gefahr birgt. Um die Prozesse des Dritten Reiches vollständig zu begreifen, kann die einzig wirkungsvolle Möglichkeit zur Prävention in dieser Erkenntnis liegen.

Maxi Braun

Hitlers Hitparade (2004)
Deutschland
Regie: Susanne Benze und Oliver Axer
offizielle Website: -
imdb Info: http://www.imdb.com/title/tt0441767/