Die Kamera fährt Achterbahn, das gesamte Farbspektrum explodiert und inmitten dieses Chaos aus CanCan und Korsagen scheint die Choreographie Amok zu laufen, bis sich einem der Kopf dreht.
Zwar möchte man die angestrengten Augen schließen, doch kann man sich dem Sog der Bilder nicht entziehen und obwohl man sich der Gefahr bewusst ist, wahnsinnig zu werden und in der Bilderflut zu ertrinken droht, können wir nicht wegschauen.
Genauso wie sich Christian fühlt, als er zum ersten Mal das legendäre Moulin Rouge betritt. Dieses Bilderfeuerwerk ist einer der Gründe, warum man sich der Wirkung des Films nicht entziehen kann. Denn die Handlung ist simpel, die Geschichte schnell erzählt:
Der arme Schriftsteller Christian (Ewan McGregor) verliebt sich unsterblich in Satine (Nicole Kidman), die begehrteste Kurtisane des berüchtigten Pariser Sündentempels.
Doch der reiche aber überaus gemeine Duke erklärt sich bereit, den Umbau des Moulin Rouge in ein Theater zu finanzieren und Satine zum Star zu machen. Als Gegenleistung verlangt er jedoch die Exklusivrechte an der Kurtisane.
Richard Roxburgh, unlängst in Van Helsing als ambivalenter Dracula völlig unterfordert, droht als fieser Duke außerdem Christian zu töten, sollte Satine ihn jemals wiedersehen.
Doch am Ende siegt die wahre Liebe und der Duke muss erkennen, dass nicht alles im Leben käuflich ist. Wer bei Moulin Rouge ein Happy End erwartet, wird jedoch bereits zu Beginn seiner Illusionen beraubt.
Diese uralte Geschichte, die in ihrer Konstellation mit allen denkbaren Klischees der tragischen Liebe aufwartet, ist dennoch ein Faktor, der Moulin Rouge neben der überwältigenden Optik und der atemberaubend phantastischen Kulisse zu einem so mitreißenden Erlebnis macht.
Wie die Niagarafälle lässt Regisseur Baz Luhrman Ideen und Träume auf sein Publikum herabstürzen und beendet damit seine Red-Curtain-Trilogie, die er mit Strictly Ballroom und einer Pop-Variante von Romeo und Julia begann.
Diesmal steht jedoch nicht der Tanz allein oder die Poesie der Worte im Vordergrund; denn das Einzige, was wirklich zählt, lässt sich am Besten durch das Credo des Films ausdrücken:
The greatest thing you'll ever learn is just to love and beloved in return. Denn in der künstlichen Umgebung wird die Liebe letztendlich auch als das einzig Echte triumphieren.
Dazu bedient sich der australische Regisseur und ehemalige Choreograph neben Tanz und Lyrik der Musik, die die dritte und vielleicht wichtigste Komponente in Moulin Rouge bildet.
Wenn der scheue Christian, den Ewan McGregor so naiv und verzweifelt verkörpert, dass man ihn am liebsten in die Arme schließen möchte um ihn zu trösten, mitten im Satz spontan in Zeilen eines bekannten Rolling Stones-Hits ausbricht und er und Satine unter einem explodierenden Sternenhimmel ein wunderschönes Medley der schönsten Liebeslieder aus den letzten dreißig Jahren unseres Jahrhunderts schmettern, wirkt das kein bißchen gekünstelt oder aufgesetzt, sondern natürlich und schlicht aus tiefstem Herzen kommend.
Wohl niemand hätte Nicole Kidman und Ewan McGregor diese Stimmgewalt zugetraut, dabei geben sie die gewagtesten Interpretationen von Diamonds are a Girls best friend bis hin zu Elton Johns Your Song, als hätten sie nie etwas anderes getan.
Durch ihre Rolle der ebenso fragilen wie entschlossenen Satine verwandelte sich "Mrs.Tom Cruise" für mich zu Nicole Kidman und katapultierte sich in den Olymp der Über-Schauspielerinnen.
Von einer Sekunde auf die andere wird sie vom zerbrechlichen Spatz in der Hand zum verführerischen Vamp und erorbert die Leinwand mit einer solchen Wucht, dass man auch in Jahrzehnten noch von ihrer Schönheit und Präsenz schwärmen wird.
Baz Luhrman erhob wohl von Anfang an keinen Anspruch auf eine authentische Darstellung des Lebens um 1900. Das Gefühl der Epoche der Bohemians mit Idealen wie Freiheit, Schönheit, Wahrheit und allen voran Liebe wird für den Zuschauer unserer Zeit dennoch greifbar.
Auch nach dem Abspann werden wir von den wilden Kamerakapriolen verfolgt und der mal tragisch-dramatisch, mal poppig–pompös daherkommende Sound klingt noch lange nach. Sofort möchte man The Show must go on von Queen auflegen, damit sie auf ewig weitergehen möge.
Aber von Moulin Rouge zu erzählen ist, als würde man sich ein Feuerwerk beschreiben lassen, anstatt es selbst zu sehen.
Maxi Braun
amazon.de: Moulin Rouge