"Zu nervig für den Mainstream, zu niveaulos für Cineasten?"
Stellt euch vor, ein Mann kommt in eine Bar, verlangt wie in der Werbung cowboymäßig einen Jim Beam, nur um nach dem ersten Schluck zu konstatieren: "Das ist kein Jim Beam". Was würde die Thekenschlampe ihm wohl antworten? "Jetzt trink das Zeug und halt die Klappe, wir sind hier nicht im Film". Doch eigentlich sind wir das schon, denn Kurzfilme haben sich seit ihrem Rauswurf aus dem Vorprogramm des Kinoparadieses einen eigenen Markt erobert.
KurtsFilme kann in diesem Kontext als Marktplatz für diese eigenständige Kunstform angesehen werden, da unter diesem Label seit längerem in regelmäßigen Abständen unter bestimmten Mottos zusammengestellte Kurzfilm-Kollektionen veröffentlicht werden. Die neuste DVD, seit dem 8. Oktober im Handel zu kaufen, trägt den Titel PULP & style und versteht sich laut Cover als "Antwort auf Tarantino".
Was ist also dran an den kurzen Verwandten der Featurefilme? Kurz & knackig oder kurzweilig und schnell vergessen?
Fake! ist der erste von drei sehr unterschiedlichen Filmen und wirbt mit den deutschen Synchronstimmen von Uma Thurmann und Bruce Willis. Regisseur Sebastian Peterson (Helden wie wir) erzählt die Geschichte von Fa (Teresa Harder) und Jim (Dietrich von Schell).
"In Kurzfilmen kann man die Charaktere nicht so ausführlich entwickeln. Also haben wir es gelassen und gewollte Abziehbilder geschaffen." So wimmelt es in Fake! dem Titel entsprechend von allen denkbaren Klischees, die wir aus Werbung und Genrefilmen kennen. Doch nicht nur Film Noir, Roadmovie, Anime, Heimatfilm und Daily werden herrlich stilbrechend kombiniert, sondern auch technisch verbindet Fake! Super 8 mit polierten Videobildern und 35mm Filmaufnahmen völlig hemmungslos.
Dahinter steckte von Anfang jedoch nicht ein wagemutiges und experimentelles Skript, sondern die Not, aus der eine Tugend gemacht wurde, nachdem eine konventionellere Umsetzung des Stoffes wesentlich mehr Material und Geld verschlungen hätte. Solche Details erfährt man nur, wenn man sich auf die wirklich genialen Extras der DVD einlässt.
Im eigens von den Regisseuren eingesprochenen Audiokommentar und den ausführlichen Interviews erhält der Zuschauer einen aufschlussreichen Blick in die häufig viel weniger glamouröse Welt des Filmemachens. Besonders bei Fake ist es interessant, wie junge Talente und frisch gebackene Filmhochschulabsolventen lieber phantasievoll mit geringen Mitteln improvisieren, als mit viel Geld einfach nur zu produzieren.
Technische Details hat der Audiokommentar zu Pretty Babe von Fracine Penrose kaum zu bieten. Die kleine Groteske spielt auch nur in einem einzigen Raum, nämlich in einem abgewrackten Friseursalon mitten im australischen Outback. Und plötzlich kommt ein Typ (Ben Becker) herein und will die versaute Frisur seiner Freundin (Jeannine Burch) repariert haben.
Pretty Babe profitiert von den beiden schrulligen Protagonistinnen, verkörpert von Uta Schoorn und Ursula Staack. Die gebürtige Australierin Penrose enthüllt dafür, dass Ben Becker am Drehtag noch stark verkatert im Bett lag und dass sie eine Produktion stets mit einem gemeinsamen Essen mit der gesamten Crew startet, um sich im Vorhinein bereits für ihr eventuell gereiztes Verhalten am Set zu entschuldigen.
Penrose versteht ihr Pretty Babe als Geschichte über Neid, Narzissmus, Schönheit und Vergänglichkeit, was das kleine und durchaus amüsante Filmchen mit Bedeutungsschwere völlig überfrachtet.
Mit ebenso hohem Anspruch beginnen die Ausführungen von Clemens M. Schönborn. "Ich wollte eine Parabel über das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier drehen. Nein, in Wirklichkeit wollte ich nur möglichst viele Leute erschießen und einen Hund überfahren", enthüllt er im Nebensatz seine eigentliche Intention. Der ehemalige Regissiassistent, zum Beispiel bei Schlingensiefs "Die 120 Tage von Bottrop" versteht seinen bitterbösen und für jeden wirklichen Hundeliebhaber traumatisierenden, filmischen Quickie außerdem als "Buddymovie und Film-Noir-Hommage":
Ein Killerduo - der alte Hase und der Frischling - wird von einem aufgebrachten Vorstadtmob gejagt, doch durch eine geschickte Geiselnahme wird einer von beiden entkommen und wer wissen will, wie sich ein Stockholm-Syndrom zwischen einem Killer und einer Pudeldame entwickelt, wird bei der schlicht Hund betitelten Satire seinen dreckig lachenden Spaß haben und sich umgehend einen Beagle zulegen.
PULP & style gibt einen excellenten Einblick in die Arbeitsweise dreier völlig unterschiedlicher Filmemacher zu Beginn ihrer Laufbahn, die ehrlich und unverblümt aus dem Nähkästchen plaudern. Eine nette Abwechslung zu den Standardausführungen bei so manchen Hollywood-Blockbustern, wo sich alle ganz furchtbar lieb gehabt haben und nach der Vermarktung des Films wie Waschweiber übereinander herziehen.
So kann der noch mit einem Fragezeichen versehenen Überschrift, die laut Schönborn ein Kritikerzitat sein soll, welches er seitdem zu seinem persönlichen Motto erklärt hat, nur widersprochen werden, da dem Zuschauer in 137 komprimierten Minuten ungeschliffene Rohdiamanten geboten werden.
Ob KurtsFilme hiermit eine Antwort auf Quentin Tarantino gibt, ist fraglich und augenzwinkernderweise viel zu kurz gedacht. Findet zumindest der Produktionsleiter im Interview mit Fake-Regisseur Sebastian Peterson: "Also in Fight Club stand Edward Norton doch auch in einer IKEA-Kataloglandschaft. Bei uns war es ein Otto-Katalog. Ich glaube ja, David Fincher hat das bei uns geklaut!".
Möglich wäre es ja immerhin.
Maxi Braun
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