Es gibt sie noch, diese Nächte, in denen man vor dem Fernseher im Vollmondlicht langsam wegdämmert und kaum die Augen aufhalten kann, bis man zufällig in einen alten Film zappt und plötzlich hellwach ist. Den Dritten Programmen sei Dank! So geschehen am gestrigen Abend.
Jeremy Irons liebgewordene Kanten erscheinen, und ohne einen Muskel zu rühren vermittelt er mit einem Blick mehr Emotionen als manch anderer sogenannter Shooting Star im Verlauf eines ganzen Films. Sein markantes Gesicht ist eine Leinwand, aber statt mit grellen Farben und exaltierten Pinselstrichen sind die Gemälde, die darauf entstehen, Suchbilder, die man ewig anschauen könnte und die ihren unglaublichen Reichtum erst bei wiederholtem Hinsehen preisgeben.
Auf einer Party trifft dieses Gesicht auf das undurchdringliche Antlitz der blutjungen Anna (Juliette Binoche). Wie es Jeremy Irons Filmsohn später sagen wird, ist es diese unendliche Traurigkeit, die ihre Figur umgibt und sie so anziehend macht. Als sich Stephen (Irons) und Anna das erste Mal begegnen, sprechen sie nicht ein einziges Wort, dennoch besiegelt diese Einstellung ihr Schicksal. Weil sie niemals voneinander loskommen werden.
Anna ist die Verlobte von Stephens Sohn und obwohl beide alles verlieren könnten, verstricken sie sich in eine Affäre, die sich einer Lawine gleich den Berg hinunterwälzt. Dennoch bleibt ihr Handeln bis zum Schluss nachvollziehbar.
Wie Stephens Frau Ingrid (Miranda Richardson) es formuliert, im Leben gibt es vielleicht für jeden nur einen Menschen, und für Stephen ist es Anna, die es wert ist, den eigenen Sohn, die ganze Familie, schlicht alle, die man liebt, unwiederbringlich zu verlieren und ins unausweichliche Unglück zu stürzen.
Ist es Louis Malle zu verdanken, dass die Charaktere trotz ihrer moralisch ungeheuren, unverantwortlichen Taten nachvollziehbar wirken? Oder liegt es nur an den hervorragenden Darstellern, die sich im Zwielicht der Öffentlichkeit nicht ansehen können, nur um sich in den kurzen Momenten, in denen sie zusammen sind, in immer verzweifelterem Sex zu verlieren?
Ohne verschämt durchs Schlüsselloch zu blicken, nehmen wir Anteil an dem Paar, das keines sein sollte und wollen Annas Geheimnis entschlüsseln.
Glücklicherweise frustriert nicht jeder Louis Malle-Film mit einem schwachsinnigen Happy Ending (Wir erinnern uns - am Ende von Herzflimmern war selbst Inzucht noch ein großer Spaß für die ganze Familie). Eine Affäre mit der Frau zu beginnen, in der der eigene Sohn naiver Weise die Liebe seines Lebens sieht, führt geradewegs in ein Dilemma, aus dem es kein Entrinnen geben kann.
Aber manchmal ist die Liebe bar jeder Vernunft, grenzenlos und mörderisch. Warum wir uns ihr dennoch wieder und wieder hingeben? Damit wir wenigstens fühlen, was wir nie verstehen werden.
So schließt Das Verhängnis mit einem letzten Blick auf das Gesicht eines Mannes, der den Fehler seines Lebens beging und es wieder tun würde. Und ich bleibe mit der Frage allein, ob im Krieg und in der Liebe wirklich alles erlaubt ist. Mitten in der Nacht. Im Mondschein. Schlaflos.
Maxi Braun
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