"Divorced, Beheaded, Died, Divorced, Beheaded, Survived" - mit diesem Abzählreim merkt man sich in England die Abfolge der Ehefrauen Heinrich VIII. Dieser pflegte einen recht hohen Verschleiß an selbigen, nachdem er sich von der katholisch-moralischen Ägide des Papstes befreit hatte. Ursprung seiner Heirats-, Scheidungs- und Enthauptungsexzesse bildete wohl seine Liaison mit Anne Boleyn, für die er seine in Sukzessionsfragen unerfreuliche Ehe mit Katherina von Aragon beendete. Dem daraus resultierenden Schisma mit Rom folgte die Gründung der anglikanischen Kirche.
Was Anne Boleyn betrifft, verlor diese zwar als erste den Kopf, ihre Tochter Elisabeth regierte jedoch fast ein halbes Jahrhundert lang das Königreich England.
Philippa Gregory bastelte bereits 2002 einen Roman um die Dreiecksbeziehung zwischen Heinrich, Anne und deren Schwester Mary, die Heinrich bereits vor Anne als Mätresse gedient haben soll.
Regisseur Justin Chadwick hat bei seiner Adaption des Stoffes dieses Grundkonstrukt historischer Fakten nun nicht nur mit allerlei Spekulationen, sondern auch mit vielschichtigen Charakteren, allerlei Intrigen und dramatischen Wendungen angereichert, so dass der vergnüglichste Kostümfilm seit Stephen Frears Gefährlich Liebschaften dabei heraus gekommen ist.
The Other Boleyn Girl ist demnach nicht als wissensvermittelnde Dokumentation gedacht, die den tatsächlichen Verlauf der Geschichte - soweit anhand von Quellen überhaupt rekonstruierbar - vermitteln soll. Das wäre für Laien ohnehin weit weniger spannend. Zudem könnte man denen, die die historische Faktentreue bemängeln, noch entgegnen, dass der Pöbel von jeher eine verzerrte Sichtweise auf die dekadente Gesellschaft am Hofe inne hatte. Dies zeigt sich heute noch am Mittelklasse-Fußvolk und dessen Gier nach dem schillernden, aufregenden und im Idealfall tragisch verkorksten Privatleben der Reichen und Schönen. Dies soll mitnichten eine Gesellschaftskritik sein, wie auch The Other Boleyn Girl niemals einen Anspruch auf historische Authentizität erhoben hat, sondern vor allen Dingen eines will: Unterhalten.
Dies gelingt vor allen Dingen an den beiden grandios agierenden Hauptdarstellerinnen Scarlett Johansson und Natalie Portman. Die eine schweigt und leidet als Mätresse Mary (Johansson) noch elegischer als ehedem in Das Mädchen mit dem Perlenohrring und findet, trotz ihrer neuen Berufung als Muse Woody Allens, im wahrsten Sinne des Wortes spielend zu ihrer unschuldigen Reinheit zurück. Natalie Portman hingegen brilliert mit der Metamorphose vom unüberlegt impulsiven Mädchen zur eiskalt kalkulierenden Frau, die hoch pokert und am Ende bekanntermaßen alles verliert.
Erstaunlich ist dabei die subtile Erotik, die Chadwick zwischen den drei Protagonisten entstehen lässt. Die beiden ungleichen Schwestern buhlen mit faszinierend unsichtbarer Körperlichkeit um die Gunst des Königs. Marys zurückhaltende, sich vielleicht in echte Liebe wandelnde Schüchternheit konkuriert dabei mit Annes Arroganz. Wo enge Korsagen und bodenlange Kleider alles verhüllen, muss manchmal ein schmaler Hals oder ein durchdringender Blick alles offenbaren. Mit koketter, hochgeschlossener und gespielter Unerreichbarkeit kehrt Anne dabei die Mechanismen der Macht grundsätzlich um.
Um die im Mittelpunkt stehende Rivalität zwischen den beiden Frauen, die Eric Banas Heinrich etwa ab der zweiten Hälfte darauf reduziert, möglichst grimmig dreinzuschauen, ereignet sich ein buntes Ränkespiel aus Intrigen und Heiratsschacher, so dass auch Nebenfiguren wie Kristin Scott Thomas als sorgende Mutter oder Jim Sturgess (Across The Universe) als Bruder der Boleyn-Schwestern in ihren eigenen Momenten glänzen können.
Nach lauter wackeligen Camcorder-Aufnahmen aus den Slums von Manila oder unverständlich-umständlichem Avantgarde-Kunstmüll aus den Straßen New York war The Other Boleyn Girl, den ich bereits vor einigen Wochen auf der Berlinale sichten konnte, zugegeben eine nette Abwechslung. Justin Chadwick gelingt es, dass sich jedes Ensemble-Mitglied im prunkvollen Ambiente individuell entfalten kann.
Der optisch perfekt ausgestattete Kostümschinken bietet so vielleicht kein Meisterwerk innovativsten Kinos, aber eine Bühne für zwei der derzeit zu recht gefragtesten Jungschauspielerinnen Hollywoods, denen man mit Freude beim Lieben, Leiden und Lamentieren in der perfekten Kulisse einer unverhohlen idealisierten Hofkultur des Spätmittelalters zusieht. Ohne sich daran zu stören, dass Heinrich VIII. in Wirklichkeit kein Eric Bana, sondern ein hässlicher, alter Fettsack gewesen sein mag.
Maxi Braun
official Website: The Other Boleyn Girl
amazon.de: Die Schwester der Königin - DVD
amazon.de: Die Schwester der Königin - Buch
amazon.de: Die Schwester der Königin - Soundtrack