Die Preise und Auszeichnungen aufzuführen, die Clint Eastwood in seiner mittlerweile mehr als 50 Jahre andauernden Karriere erhalten hat, könnten einen eigenen Artikel füllen. Sowohl als Schaupieler, Regisseur (u.a. Million Dollar Baby, Flags of our Fathers / Letters from Iwo Jima) und immer wieder auch als Komponist hat sich der Inbegriff des wortkargen Cowboys der 60er und 70er Jahre über den harten Antihelden der 80er zu einem der verlässlichsten und reflektiertesten Filmschaffenden der letzten Dekade entwickelt.
Seit Sergio Leone Clint Eastwood attestierte, exakt über zwei Gesichtsausdrücke zu verfügen - einen mit Hut und einen ohne - hat sich also viel getan. Inzwischen geht der Schauspieler und Regisseur, Jahrgang 1930, auf die 80 Jahre zu und der Trailer zu seinem neuen Film Gran Torino lässt die bange Frage aufkommen, ob Clint in diesem biblischen Alter nicht besser daran täte, zumindest die Leinwandpräsenz endgültig an den Nagel zu hängen.
In knapp zweieinhalb Minuten präsentiert sich Clint im Trailer als fast lächerlich-mürrisch wirkender Greis, der in wohlbekanntem Timbre Ausländer, Priester und die eigene Familie beleidigt, nur um die Probleme im Suburb schließlich im Alleingang und Selbstjustiz ein für alle Mal zu lösen. Doch würde man diese Vermutung auf den gesamten Film übertragen, würde man Eastwood genauso schmählich unterschätzen wie seine verwöhnte Verwandtschaft im Film.
Unmittelbar nach dem Tod seiner Frau treffen wir das erste Mal auf Walt Kowalski (Eastwood). Schon auf der Trauerfeier wird deutlich, dass ihn seine Familie nicht im geringsten respektiert. Seine Kinder sind nur genervt von der ruppigen Art des Alten, seine Enkelin giert bereits nach dem Erbe. Und zu Beginn ist dieser Kowalski wirklich keine Frohnatur. Als Veteran des Koreakriegs hält er aus purer Sturheit Stellung in einer mehr und mehr durch ostasiatische Einwanderer dominierten Nachbarschaft und macht keinen Hehl aus seiner Meinung zu den "Schlitzaugen", "Bambusratten" und "Fischköpfen".
Kowalskis Verbalattacken kommen dabei sowohl im Original als auch in der guten, deutschen Synchronisation derart unverschämt daher, dass man erstmals die Hoffnung hat, Dirty Harry wäre noch weit von der Altersmilde entfernt. Als Kowalski versehentlich den Nachbarsjungen Thao vor einer Gang rettet - und man muss versehentlich sagen, da Kowalski eigentlich nur den eigenen Rasen zu schützen versucht - kommt er langsam und äußerst widerwillig in Kontakt mit der fremden Kultur in Form der Hmong-Community, die all die Jahre nur ein Haus weiter gewohnt hat.
Wie Eastwoods Kowalski in hohem Alter noch neue Horizonte entdeckt und allmählich feststellt, dass der Hmong-Clan ihm ähnlicher ist als seine verzogene eigene Sippschaft, ist dabei überraschend überzeugend. In seiner Darstellung gelingt Eastwood bravourös die Gradwanderung zwischen dem Stereotyp mit Wiedererkennungswert und dem verschrobenem Unikum, dem man diese Metamorphose problemlos abkauft.
Die erste Hälfte von Gran Torino zeichnet diesen Wandel mit einer deftigen Portion Humor. Die Wortgefechte, die sich Kowalski u.a. mit einem irischen Jungpfarrer, seinem italienisch-stämmigen Friseur oder der jungen und schlagfertigen Hmong-Tocher Sue liefert, sind mit das Bissigste, was man seit langem im verschreckten Dschungel der political correctness vernehmen durfte und nur Kowalskis Grimmigkeit erinnert in den stilleren Momenten an die Eastwoodsche "Make my day"-Attitüde seiner frühen Jahre. Klischees und die Absurdität rassistischer Vorurteile werden dabei so eindeutig wie auch subtil entlarvt.
Im Hintergrund deutet sich dabei immer mal wieder das zweite Kernthema an, welches Gran Torino behandelt: Gewalt.
Diese manifestiert sich am Beispiel der alltäglichen Bandenkriminalität, die nicht nur in Gangsterfilmen oder maximal in Brooklyn stattfindet, sondern sich eben auch in der multikulturellen Vorortsiedlung Michigans abspielen kann. Hier bedroht eine aisatische Gang den jungen Thao und versucht, den Teenager mit in die Spirale von Brutalität, Angeberei und Illegalität zu ziehen.
Verschiedene Wendungen lassen früh keinen Zweifel daran, dass Gran Torino dem Zuschauer kein bequemes Ende liefern wird. Regisseur Clint Eastwood schafft es hier, uns nach einer zunächst vergnüglichen Spritztour plötzlich vor eine Wahl zu stellen, bei der es aufgrund verschiedener, zuvor taktisch geschickt eingestreuter Ereignisse mehrere Optionen gibt. Eastwood leistet dabei Erstaunliches, denn egal wie wir Zuschauer diese Optionen auch drehen und wenden mögen: es scheint keine Lösung zu geben, die Gran Torino eine moralisch äußerst fragwürdige Botschaft im Sinne von blinder Selbstjustiz ersparen würde.
Welchen Pfad Eastwood am Ende geht, sei hier nicht verraten. Fest steht jedoch, dass es nicht das erste Mal ist, dass er das Unmögliche schafft und uns mit Gran Torino letztlich eine wunderbare Geschichte erzählt - über Freundschaft, Verständigung und eben auch über Auswege und Alternativen, die es stets gibt, auch wenn sie Opfer verlangen.
Maxi Braun
official Website: www.thegrantorino.com
imdb.com: Gran Torino
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Google Bilder: Ford Gran Torino