Kurzfilmtage 2005 - Currywurst oder Heuschrecken in Karamell?

Wie immer gab es im "Laboratorium des Kinos", wie Festivalleiter Lars Henrik Gass die Festivaltage einmal genannt hat, wieder allerlei Originelles, Wunderschönes und auch Verstörendes zu sehen.

Internationaler Wettbewerb/International Competition 2005,Großer Preis der Stadt Oberhausen/Grand Prize of the City of Oberhausen:man.road.river, Marcellvs L., Brasil, 2004
Sehr abstrakte Performance-Stücke und klassisch-narrative Filme wechselten einander ab und obwohl der Bauer sprichwörtlich nicht frisst, was er nicht kennt, strömten neben den immer gleichen Pressegesichtern mehr fachunabhängige Zuschauer in die Lichtburg in der Elsässer Straße als noch 2003, wenn auch die Zahlen des 50-jährigen Jubiläums im letzten Jahr nicht überboten werden konnten.

Doch sich an Statistiken und Publikumswirksamkeit zu orientieren, davon ist man Oberhausen auch im Jahr 1 nach dem ersten, halben Jahrhundert Kurzfilmgeschichte weit enfernt. Wer Fast-Food will, geht schließlich zu McDonald's, wer exotisches bevorzugt, in ein Gourmetrestaurant. Die Kurzfilmtage sind denn auch die edele, bisweilen zu abgedrehte Alternative zu den Cineplexen dieser Welt.

Der Internationale Wettbewerb mit 4000 eingereichten Filmen, von denen 66 aus 36 Ländern den Sprung ins Programm schafften, bediente denn auch jede Geschmacksrichtung und waren mal der kleine Happen für zwischendurch, mal das schwerverdauliche, cineastische Äquivalent zu einer Schale Affenhirn mit Reis.

So ein Mahl war zum Beispiel Legal Erroist aus Österreich von Mara Mattuschka.
In dieser Performance zappelt die nackte Protagoistin Stephanie Cummings durch einen durch Licht und Schatten geteilten Raum und plappert fortwährend wirres Kauderwelsch, während sie sich krümmt und vor der Kamera zur Schau stellt.

Diese, malerisch im Katalog der Kurzfilmtage als "Transformance" vor einer "zum Tanz aufspielenden Kamera" beschriebene Vorstellung ist vor allen Dingen eines: gruselig! Selbst artgesottene Cineasten schienen nach Ende des Viertelstünders ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken zu können, während der Neugierige einen Platz weiter weniger Diplomatie walten ließ und mit "Na, endlich isses vorbei!" aussprach, was viele dachten.

Deutscher Wettbewerb/German Competition 2005,3sat-Förderpreis/3sat-Promotional-Award:Cousin Cousine, Maria Mohr, 2005 Oberhausen hat die Polarisation zur Kunstform erhoben und offensichtlich Spaß an dem einen oder anderen verstimmten Besucher.

Unter der Rubrik Groteskes fällt zweifelsohne auch der malayische Mei You De Re Je - Goodbye to Love. Das unglückliche Ende einer Romanze, die Entfremdung von einer ehemals geliebten und vertrauten Person würde mehr berühren, wenn sie nicht allein durch einen stummen Mann mit einer Rose in der Hand und einem wenig aussagekräftigen Trittleiter-Ballett dreier asiatischer Grazien von Regisseur James Lee umgesetzt worden wäre.

Doch nicht nur die narrativen und somit den Sehgewohnheiten der breiten Masse eher entgegenkommenden Filme vermochten zu beweisen, dass es auch anders geht - Nisou no Kazura (Dialogue between Two) aus Japan widmet sich auch menschlichen Beziehungen und lässt eine Frau unter Wasser und einen Mann, der am Ufer sitzt, miteinander kommunizieren, indem er Samenkörner in ihr Gewässer wirft, aus denen unter ihrer Berührung Fische werden - perfekte Symbiose ohne Worte.

Preis für den besten Beitrag des Deutschen Wettbewerbs/Prize for the best contribution to the German Competition 2005:Remake, Hangover Ltd., 2004 Beziehungen, besonders die tragischen, waren die heimlichen Favoriten von film-sprache.de im diesjährigen Wettbewerb. Neben Ele y Jagger, der eine Liason zwischen einem bindungsunfähigen, argentinischen Rocksänger mit frappierender Ählichkeit zu Mick Jagger beschreibt, über Hokoridarake (My Room is Full of Dust), der in elegischen Bildern daran erinnert, dass nach dem Ende einer Liebe sogar Seifenblasen wie Steine schwer auf unseren Schultern lasten können. Bis hin zu einem der Träger des diesmal doppelt vergebenen, mit 3.500 Euro dotierten Hauptpreises A Tree in Tanjung Malim.

Wenig überraschend hingegen die Auszeichnung der FIPRESCI-Jury für internationale Filmkritik für The Future is Behind you von Abigail Child, die mittels Archivmaterial aus den 1930er Jahren eine Kollage der wachsenden Bedrohung durch den Nationalsozialismus vor dem Hintergrund einer fiktiven Familiengeschichte und zweier Schwestern formt.
60 Jahre nach Kriegsende ist dieses Thema präsenter denn je in Kino und Köpfen und Childs Film zeigt, dass sich nicht nur an die letzten Tage im Führerbunker oder das Schicksal einer Sophie Scholl zu erinnern gilt, sondern auch an die Millionen namenlosen Opfer.

Internationaler Wettbewerb/International Competition 2005, Preis der Jury des Kulturministerium NRW: Pistache, Valérie Pirson, France 2004 Die Zahl der animierten Filme - von Tiger Licking Girl's Butt (der Name ist hier Programm!) über die Reise in die mit Nixen und Elfen bevölkerte Unterwelt Londons in City Paradise (Preis der Ökumenischen Jury) bis zu dem mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichneten A vue von dem Amerikaner Joshua Mosley wurden mit Knete, Collage und Computerprogrammen ebenso traurige wie surreale Geschichten auf die Leinwand gebastelt, die ihren "realen Verwandten" mit Protagonisten aus Fleisch und Blut in nichts nachstanden.
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Insgesamt boten die Kurzfilmtage in Oberhausen auch 2005 ein gewohnt ungewohntes Arrangement an Filmen für jeden Geschmack.

Kritikpunkt bleibt, dass die Programme höchstens einmal wiederholt werden und man unmöglich jeden Film und jedes Sonderprogramm zu Gesicht kriegen kann. Denn auch wer die Möglichkeit hat, sich über die gesamte Dauer von sechs Tagen in Oberhausen zu vergnügen, braucht einfach zwischen den Blöcken Pausen, sofern man nicht an Reizüberflutung verzweifeln möchte.

Dies ist sicherlich der Kürze des Festivals auf der einen und dem Genre des Kurzfilms auf der anderen Seite geschuldet, stellt aber im Gegensatz zu unabhängigen, innovativen Langfilm-Festivals wie Mannheim-Heidelberg (in diesem Jahr vom 17.-26. November) einen echten Nachteil dar, da sich Filme in Oberhausen nicht während des Festivals per Mundpropaganda zu echten Geheimtipps entwickeln können.

An diesem Punkt sind Sender wie Arte und 3Sat auf den Plan gerufen, die kurzen Kunstwerke dem normalsterblichen Filmfreak im Rahmen ihres Programms zugänglich zu machen, bevor sie in der Versenkung verschwinden.

Ganz wagemutige Vordenker könnten gar den Wunsch äußern, man möge die Werbung in den Kinos von 45 Minuten auf eine halbe Stunde reduzieren, um den Vorfilm wiederzubeleben. Denn auch wenn der Bauer nicht frisst, was er nicht kennt, mag er in freudiger Erwartung auf, sagen wir einmal Episode III., vielleicht auch zu Experimenten aufgelegt sein und manch einer kommt dabei vielleicht auf den Geschmack des Ungewöhnlichen.

Maxi Braun