MuVi-International oder: Gwen Stefani darf alles!
Zweifellos mein Lieblingsprogrammpunkt bei den Oberhausener Kurzfilmtagen: Das Screening der internationalen Musikvideos. Auch 2005 ein interessanter Mix, bei dem neben elektronischem von Bliss und Q Department, HipHop von Funkstörung und Prodigys Hymnen an die Emanzipation, einmal mehr die üblichen Verdächtigen wie Spike Jonze & Michel Gondry triumphierten - was kein Vorwurf an das Auswahlkomitee aus Jessia Manstetten, Hans-Christian Grimm und Festivalleiter Lars Henrik Gass sein soll, denn diese inzwischen auch im Bereich des Spielfilms renomierten Regisseure erfinden sich immer neu, ohne ihren markanten Stil zu verlieren.
Zum Auftakt Björk - wie immer apart und nicht von dieser Welt, zofft sie sich mit ihrem Ehegatten und haut ab nach Island Downtown, um ordentlich die Sau raus und den Alkohol in sich rein laufen zu lassen. Der daheim Zurückgelassene beginnt parallel, sich zu sorgen und natürlich wissen wir immer erst, was wir haben, wenn es plötzlich nicht mehr da ist. Am Morgen torkelt Björk duch die pittoreske Einöde nach Hause und beide treffen sich auf halbem Weg, um zu Hause den Streit des vergangenen Abends einfach wegzutanzen.
Klingt erstmal ganz normal, würde es sich nicht um eine Zusammenarbeit zwischen Jonze und der isländischen Ausnahmekünstlerin handeln, die bereits diverse Clips gemeinsam ausheckten. Der Ehegatte ist nicht nur der typische Unterhemdträger, der sich gerne auf der Couch bedienen lässt; ihn nur animalisch zu nennen, wäre allerdings untertrieben, denn er ist eine schön rot-braun gestrohmerte Hauskatze die bei den letzten Takten von Triumph of a Heart zu menschlichen Dimensionen heranwächst.
Michel Gondry, der ebenfalls bereits mit Björk kollaborierte, geht es bei Devendra Banharts A Ribbon ruhiger und wesentlich weniger gruselig an. Gemeinsam mit Laurie Faggioni lässt er eine rote Schleife handgemalt durch eine nächtliche Naturidylle schweben - sehr schön, jedoch völlig unspektakulär.
Spektakulärer, aber dafür weniger schön, gestaltet sich da Y Control zum Sound der Yeah Yeah Yeahs. Wieder Spike Jonze, der damit beweist, warum er in jedem Jahr in Oberhausen mit dabei sein darf. Weder die Brut aus Amytiville noch Chucky höchstpersönlich könnte diesen wildgewordenen Kids in puncto Brutalität den Rang ablaufen:
In adretten Kommunionsanzügen und Rüschenkleidchen hantieren die lieben Kleinen mit dem Hackebeil und Schlachtermesser und malträtieren sich auch schon mal selbst, wenn sie sich höflich bitten: "Will you chop my hand off?". 1:0 für Jonze, aber dafür soll ja bald ein noch unbetiteltes Gondry / Jonze / Kaufman-Produkt in die Kinos kommen.
George W. Bushs Wiederwahl Ende letzten Jahres wurde gleich in zwei Beiträgen kommentiert: Sandra Künzi aus der Schweiz läßt zu dem getragenen und unprätentiösen Purple Brain zwei Freunde mit Blair & Bush-Masken im Schnee herumtollen und sich über ein symbolisches Fläschchen Motoröl freuen, während ein Saddam-Püppchen von einem Schäferhund verschleppt wird.
Wie schon 2004 bei dem kanadischen Beitrag L'Axe du mal, der zwar nicht in der MuVi-Rubrik lief, aber zwei Verliebte zu den Klängen von "And when the rain beginns to fall" Bushs Kriegshetze lakonisch vor dem Hintergrund der Nigarafälle rekapitulieren ließ, erfüllt den anti-republikanischen, pazifistisch veranlagten Zuschauer mit kurzweiliger Genugtuung.
Kritischer ist dennoch Eminems noch vor der Wahl publiziertes Mosh-Dirty Version. In diesem Zeichentrickclip läuft eine Horde in schwarzen Kaputzenpullis zum Widerstand gegen ein totalitäres Regime auf und Slim Shady ruft zum Wahlgang.
Eine düstere Version, die wie die satirische Variante von Künzi leider auch nur ein Stück Kunst bleibt, welches gegen die Realität nicht auszurichten vemochte, wie wir alle seit der zweiten Legislaturperiode von Kriegspräsident Bush erfahren mussten.
Weniger politisch, aber nicht minder kreativ der wohl bekannteste Clip in der guten Gesellschaft des MuVi-Programms: What U waiting 4? von Gwen Stefanie ist dennoch eine berechtigte Wahl, lief das Video in Oberhausen in der vollen Länge von 8:30. In der Gänze ist es dann auch keine bloße, surrealistische Modenschau einer Exzentrikerin, sondern eine eigenironische Parodie auf divenhaftes Popstargebahren, deren wirrer Alice-im-Wunderland-Kosmos nur das Ende vom Lied ist:
Nach einer Tour sitzt Gwen erschöpft im Taxi nach Hause und schon hat sie ihren quengeligen Manager an der Strippe, der sie wegen Aufnahmen ins Studio zitieren will. Doch Gwen braucht vor allem eines: Ruhe. Vier Wochen später beantwortet der nervige Promoter ihren Wunsch nach Inspiration mit "Is that all? So you're officially inspired!" und letztendlich hockt die blonde No Doubt-Frontfrau unmotiviert vor einem Piano in einem sauteuren Studio, bis sie klammheimlich einen Termin bei einer diskreten Firma für schreibblockierte Künstler ausmacht und mehr oder weniger inoffiziell inspiriert wird. Den Rest kennen wir, da er aus dem Kontext gerissen auf MTV & Co. rauf und runter gespielt wird.
Nur in Oberhausen konnte man sich davon überzeugen, dass in Zeiten, in denen Barbie Britney Spears nur noch davon trällert, in Ruhe gelassen zu werden, obwohl sich längst niemand mehr für sie interessiert, Gwen Stefanie mutig ist und von dieser Stelle offiziell berechtigt ist, alles zu dürfen.
Ein kleiner Insidertipp am Rande: die Präsentation der MuVi-Reihe ist der interaktivste Programmpunkt der Kurzfilmtage, bei dem das Publikum am meisten mitgeht. Egal ob Rocker, Schwermetaller oder Gangsta-Rapper, schaut euch nicht die Wiederholung, sondern das erste Screening im größten Kino der Lichtburg an, dort ist die Atmosphäre immer am besten.
Maxi Braun